Der kamerainterne Bildstabilisator [IBIS] – Sinnvoll oder nicht?
| Lesezeit ca. sechs MinutenDer kamerainterne Bildstabilisator (IBIS) stellt für viele ein wichtiges Argument beim Kamerakauf dar. Tatsächlich ist der Nutzen aber viel geringer, als man denkt. In diesem Beitrag erkläre ich dir, wo ein IBIS sinnvoll ist und warum er das oft nicht ist.
Wie sehr ich mir doch einen Bildstabilisator in der Kamera gewünscht habe. Und jetzt, seit ich 2 Jahre mit der EOS R6 fotografiere, muss ich sagen: Der kamerainterne Bildstabilisator wird überschätzt.
Hinweis:
Im Folgenden werde ich den kamerainternen Bildstabilisator mit IBIS = In Body Image Stabilization abkürzen.
Mein Video zum Thema
Die Freihandgrenze und der Bildstabilisator
In der Fotografie bezieht sich die Freihandregel oder Freihandgrenze auf die Mindestbelichtungszeit, bei der man ein Foto aus der Hand aufnehmen kann, ohne dass es zu unscharfen Ergebnissen kommt. Die Freihandgrenze hängt von der Brennweite des Objektivs, der Sensorgröße sowie der Stabilisierungstechnik ab.
Ohne Bildstabilisator gilt bei Sensoren des Kleinbildformats die allgemeine Regel, dass die Mindestbelichtungszeit etwa 1/(Brennweite) Sekunden betragen sollte. So sollte bei einem 50mm Objektiv eine Mindestbelichtungszeit von 1/50 Sekunden nicht überschritten werden. Bei 100mm Brennweite wären es 1/100 Sekunden und bei 24 mm 1/24 Sekunden usw.
Ein Bildstabilisator verlängert die mögliche Belichtungszeit erheblich. Bei meinem Canon RF24-240 spricht Canon bspw. von 5 Blendenstufen. D.h, ich kann damit bei 50mm bis zu ca. 0,6 Sekunden lang aus der Hand belichten. Betreibe ich das Objektiv an meiner EOS R6 mit IBIS, sind es sogar 6.5 Blendenstufen, was fast 2 Sekunden entspricht. Wow!
Wie komme ich auf diese Werte?
Eine Blendenstufe heißt, die doppelte Lichtmenge. D.h., wenn ich eine Blendenstufe länger belichten kann, dann sind es statt 1/50 Sekunden schon 1/25 Sekunden, bei 2 Blendenstufen 1/12 Sekunden und so weiter.
Blendenstufe | Wert in Sekunden | Auswahl in der Kamera |
---|---|---|
0 | 0.02 | 1/50 |
1 | 0.04 | 1/25 |
2 | 0.08 | 1/13 |
3 | 0.16 | 1/6 |
4 | 0.32 | 0.3 |
5 | 0.64 | 0.6 |
6 | 1.28 | 1.3 |
6.5 | 1.92 | 2 |
Die ganze Rechnerei ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn sich keine weitere Einstellung an der Kamera änder. Logisch, oder?
Außerdem sind all das nur theoretische Werte (und Herstellerangaben = Vorsicht!), wie lange du die Kamera tatsächlich ruhig halten kannst, hängt stark von deiner körperlichen Verfassung ab.
Unterm Strich lässt sich also festhalten:
Ein Bildstabilisator hilft, Kamera-Schwankungen und Verwacklungen zu korrigieren, was besonders bei längeren Belichtungszeiten hilfreich ist. Er hilft dir bessere Ergebnisse zu erzielen, insbesondere bei unruhigen oder sich bewegenden Aufnahmebedingungen.
Was ist besser? Bildstabilisator im Objektiv oder in der Kamera?
Um diesen Punkt nicht ausufern zu lassen, mache ich es kurz: Beides in Kombination ist das Beste. Das siehst du auch schön am Beispiel oben. Ohne Stabi könnte ich bei 50mm, maximal 1/50 Sek. belichten, mit einem optischen Stabilisator im Objektiv sind es schon 0,6 Sekunden und mit einem zusätzlichen, kompatiblen IBIS fast 2 Sekunden.
Vorteile IBIS:
- Auch Objektive ohne eigenen Stabilisator werden stabilisiert
- Objektive mit kompatiblem Stabilisator werden besser stabilisiert
Nachteile IBIS:
- Die Kamera ist in der Anschaffung teurer
- IBIS funktioniert bei langen Brennweiten (>200mm) weniger effektiv
Vorteile stabilisiertes Objektiv:
- Bessere Stabilisierung bei langen Brennweiten
- Noch bessere Stabilisierung mit kompatiblen Kameras
Nachteile stabilisiertes Objektiv:
- Das Objektiv ist in der Anschaffung teurer
Ganz ohne Bildstabilisierung möchte ich nicht mehr sein, ob das jetzt ein IBIS oder eine Stabilisierung im Objektiv ist, ist mir eigentlich egal. Bietet die Kombination aus Kamerabody und Objektiv beides, sage ich aber auch nicht nein.
IBIS – Vorteile unabhängig der Stabilisierung
Neben der reinen Bildstabilisierung kann der IBIS noch weitere Vorteile bieten:
- Die Canon EOS R7 richtet damit automatisch den Horizont aus.
- Panasonic und Olympus (bzw. OM-Systems), erreichen durch die Pixelshift-Technologie mit dem IBIS höhere Auflösungen.
Butter bei die Fische, wer braucht einen IBIS in der Praxis?
Ich bin begeistert vom Canon EOS R-System und viele RF-Objektive haben einen eingebauten Bildstabilisator, sodass sich der Nutzen eines internen Bildstabilisators auf eine noch bessere Stabilisierung oder auf Objektive ohne eingebauten Stabi beschränkt.
Natürlich gilt das hier Gesagte auch für Sony, Nikon, Panasonic und Co.
Es kommt darauf an, was du fotografierst. Bist du bspw. Astrofotograf, steht die Kamera bei dir immer auf dem Stativ, ein Bildstabilisator ist unnötig. Egal ob in der Kamera oder im Objektiv.
Selbst bei Sport oder sogar Porträts sind die Verschlusszeiten in der Regel kürzer, als die Freihandgrenze verlangt, weil du sonst Bewegungsunschärfe im Bild hast. Zumal du bei Porträts tendenziell eher mit großen Blenden arbeitest, was automatisch zu kürzeren Belichtungszeiten führt.
Mehr als das, was der Bildstabilisator im Objektiv leistet, brauchst du bei der Sportfotografie und auch bei Porträts nicht. Wenn überhaupt.
Das gilt auch für Tiere, auch da sind die Verschlusszeiten oft kürzer als die Freihandregel verlangt und falls nicht, haben wir meist solch lange Brennweiten, dass der alleinige Stabilisator im Objektiv eh die meiste Arbeit macht.
Kurz, der interne Bildstabilisator lohnt sich nur dann, wenn du
- statische Motive fotografierst oder
- du zu wenig Licht hast, um die Freihandregel einzuhalten
- weil dein Objektiv keine Stabilisierung hat oder
- weil die Stabilisierung deines Objektivs nicht ausreicht.
Eventuell könnte man noch den Punkt hinzufügen
- oder weil du lange belichten willst, um einen künstlerischen Effekt zu erzielen.
Also bspw. Wasser oder Wolken glattziehen oder Lichtspuren fotografieren.
Du darfst aber nicht vergessen, unendlich lange kannst du mit der Kombination aus Objektivstabi und IBIS auch nicht belichten. Es geht also je nach Objektiv grob um den Bereich zwischen ca. 1/4 Sekunden und 5 Sekunden. Wobei meine Erfahrung mir zeigt, dass länger als 1 Sekunde bei 50mm auch mit IBIS mehrere Anläufe braucht.
Ohne Frage, der Nutzen eines internen Bildstabilisators ist durchaus gegeben, erst recht, wenn du mit nicht stabilisierten Linsen arbeitest. In der Praxis sind für die meisten Fotografen die Situationen, wo ein interner Bildstabilisator zusätzlichen Nutzen bringt, aber eher gering.
Beispiele aus der Praxis – mit und ohne IBIS
Ich bin Reisender und mit der Kamera viel unterwegs. Ich weiß selten, was mich erwartet und sollte deshalb die ideale Person sein, der ein interner Bildstabilisator in Kombination mit einem Stabi im Objektiv zugutekommt. Bei der Recherche für diesen Beitrag habe ich aber mein Fotoarchiv durchforstet und musste feststellen, dass es nahezu keine Situation gibt, in der ich diese Vorteile nutzen konnte.
Unstabilisierte Objektive sind so lichtstark, dass ich nie unter die Freihandgrenze damit komme und in fast allen anderen Situationen hat der Stabilisator des Objektivs ausgereicht oder ich hatte ein Stativ dabei.
IBIS war gut oder wäre gut gewesen
Das wirklich einzige Beispiel, bei dem ich es ohne IBIS vermutlich knapp geworden wäre, ist das hier:
Bei dem Bild musste der Stabi im Objektiv reichen. Hat er auch, mit IBIS wäre es aber sicher einfacher gewesen.
Auch dieses Foto hätte ich mit IBIS aus der Hand schießen können, aber dafür hatte ich tatsächlich ein Stativ.
IBIS war unnötig: Freihandgrenze
Ohne Frage, im Freien, mit Offenblende und 1.8er Blende, braucht man keinen Stabi.
Wer Insekten im Flug fotografieren will, muss kurz belichten, sonst wird die Bewegungsunschärfe sichtbar. Ein Bildstabilisator ist nicht nötig.
IBIS war unnötig: Stativ
Der IBIS bei Videos
Da moderne Kameras Hybridkameras sind, die sich sowohl für Fotos als auch für Videos eignen, muss ich noch ein bisschen was zu Videos sagen.
Ja, bei handgehaltenen Videos hat der IBIS einen größeren Nutzen als bei Fotos. Wunder darfst du aber auch nicht erwarten. Ganz im Gegenteil, die elektronische Stabilisierung, wie du sie in Actioncams findest oder wie du sie bei Sony-Kameras mit der App Cataylst Browse im Nachhinein hinzufügen kannst, liefern bessere Ergebnisse. Die Voraussetzung ist allerdings genügend Licht und eine kurze Verschlusszeit.
Für cinematische Aufnahmen empfiehlt sich so oder so ein Gimbal.
Der Nutzen des IBIS bei Videos ist also auch begrenzt.
Aber auch hier gilt: Haben ist besser als brauchen und die Kombination aus guter optischer Stabilisierung und elektronischer Stabilisierung bringt natürlich noch bessere Ergebnisse als die elektronische Stabilisierung allein. Und bei handgehaltenen ist die Kombination aus Stabilisator im Objektiv und dem IBIS in jeder Situation sichtbar, nicht wie bei Fotos erst ab einer bestimmten Verschlusszeit.
Mein Fazit zum IBIS
Ja, ein stabilisierter Kamerasensor hat Vorteil, das bestreite ich nicht. Arbeitest du aber mit stabilisierten Objektiven, gibt es für Fotos in der Praxis wenig Situationen, in denen dir der IBIS noch zusätzliche Vorteile bringt.
Die größten Vorteile des IBIS sehe ich beim Thema Video. Hier kannst du in jeder handgehaltenen Situation ruhigere Aufnahmen erzielen.
Für meinen Teil musste ich feststellen, dass ich den IBIS eigentlich nicht brauche. Für Fotos praktisch gar nicht und bei Videos steht die große, schwere EOS R6 meist auf dem Stativ und für handgehaltene Aufnahmen nehme ich lieber etwas Kleines, wie die Insta360 X3, den DJI Pocket 2 oder die Sony RX100 VII bzw. die ZV1 und vertraue auf den elektronischen Stabilisator.
Wer hier schreibt:
Hallo! Ich bin übrigens Marc!
Ich bin begeisterter Papa, Blogger, YouTuber, Foto- und Reisefuzzi.
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