Der Zusammenhang aus Schärfentiefe, Sensorgröße und Brennweite erklärt [Fototipp]
| Lesezeit ca. neun MinutenEin Grund, warum ich Kameras mit größeren Sensoren mag, ist die Möglichkeit, Objekte freizustellen und den Hintergrund verschwimmen zu lassen.
Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis mir der Zusammenhang zwischen Blende, Brennweite, Fokusdistanz und Sensorgröße bei der Schärfentiefe richtig bewusst wurde und wenn ich mich durchs Netz klicke, sehe ich, dass es viele falsch verstanden haben.
Definition Schärfentiefe
Die Schärfentiefe (häufig synonym auch Tiefenschärfe) ist ein Maß für die Ausdehnung des scharfen Bereichs im Objektraum eines abbildenden optischen Systems.
Stelle dir einen Zollstock vor, an dem du entlang fotografierst. Die Stelle, auf die du fokussierst, ist scharf. Je weiter du dich aber davon entfernst, desto unschärfer wird das Bild.
Der scharfe Bereich ist deine Schärfenebene, bzw. Schärfentiefe.
Wenn du es ganz genau nimmst, gibt es eigentlich nur einen wirklich scharfen Punkt, das ist genau die Stelle, auf die du fokussierst. Alles andere innerhalb der Schärfenebene ist nur annehmbar scharf. Aber das ist jetzt nicht so wichtig.
Merksätze zur Schärfentiefe
Öffne die Blende für eine geringe Schärfentiefe, schließe die Blende für eine große Schärfentiefe.
Je näher dein Motiv ist (die Fokusdistanz), desto geringer ist die Schärfentiefe.
Lange Brennweiten haben eine geringere Schärfentiefe als kurze.
Brennweite, Bildwinkel und Crop Faktor
Wie du siehst, kommt in den Merksätzen die Sensorgröße gar nicht vor. Und das, obwohl es durch das Netz schreit:
Je größer der Sensor, desto geringer die Schärfentiefe.
Dieser Satz ist falsch!
Die Sensorgröße hat nichts mit der Schärfentiefe zu tun!
Ich erkläre es dir.
Stelle dir ein Objektiv und ein Motiv vor. Nehmen wir für unser Beispiel 50 mm Brennweite und Blende f/1.8 und unser Motiv ist 20 cm entfernt.
(Die Zahlen sind willkürlich gewählt und nicht so wichtig!)
Einwurf: Der Zerstreuungskreis und die Sensorgröße
Mit den Zahlen Entfernung, Blende und Fokusdistanz könnten wir die Schärfentiefe theoretisch berechnen. Guckst du aber nach der Formel dafür, stellst du fest, dass da vom Zerstreuungskreis gefaselt wird.
Damit es hier nicht zu kompliziert wird, lasse ich das Thema zum Großteil unter den Tisch fallen.
Beim Zerstreuungskreis in der Schärfentiefe-Formel geht es darum, dass das Bild bei einem kleineren Sensor für das gleiche Endformat stärker vergrößert werden muss. Dadurch werden die Unschärfen vergrößert und früher sichtbar.
Beispiel:
Stelle dir ein Foto vor. Das druckst du zweimal aus. Einmal als normalen Abzug im Format 10×15 und in identischer Druckqualität in 100×150 – also richtig groß!
Betrachtest du beide Drucke aus dem gleichen Abstand, siehst du beim größeren Druck den Übergang von scharf zu unscharf viel früher … weil dieser vergrößert wurde.
Genau darum geht es beim Zerstreuungskreis.
Das wiederum heißt, dass ein kleinerer Sensor eine geringere sichtbare Schärfentiefe hat als ein größerer! Also ganz im Gegensatz zu dem oben für falsch erklärten Satz!
Interessant wird das bei Makroaufnahmen, denn da ist irgendwie alles anders – aber ich wollte das Thema hier ja nicht zu weit vertiefen.
Der Bildwinkel
Zurück zu unserem Beispiel: Wir haben ein Objektiv mit 50 mm Brennweite, Blende f/1.8 und fokussieren auf ein Motiv in 0.2 m Abstand.
Der Zerstreuungskreis fällt ab jetzt unter den Tisch! (Und weg ist er! :))
Um endlich aus der Theorieecke zu kommen, fotografieren wir jetzt.
Dazu schrauben wir eine Kamera mit Vollformatsensor hinter das Objektiv und drücken den Auslöser.
Weil das so schön war, machen wir es gleich nochmal – nur nehmen wir jetzt eine Kamera mit APS-C-Sensor oder schalten die Vollformatkamera in den APS-C-Modus.
Aha, interessant! Das APS-C-Bild liefert nur einen Ausschnitt des Bildes aus der Vollformatkamera!
Das ist schnell erklärt:
Am Objektiv änderten wir nichts, das Licht fällt bei beiden Sensoren genau gleich in die Kamera. Fotografieren wir aber mit einem kleineren Sensor, nehmen wir natürlich einen kleineren Teil des Bildes auf – daher der Ausschnitt.
Da sich am Objektiv aber nichts ändert, ändert sich an der Schärfentiefe auch nichts.
Was sich ändert, ist der Bildwinkel!
Wir hätten auch das Bild der Vollformatkamera in Photoshop ausschneiden können – das kommt aufs Gleiche raus.
Damit wäre bewiesen, die Schärfentiefe hat nichts mit der Sensorgröße zu tun!
Der Bildwinkel und die Schärfentiefe
Jetzt wird es spannend!
Wollen wir mit beiden Kameras den gleichen Bildwinkel fotografieren, müssen wir mit dem Vollformatsensor mit einer längeren Brennweite arbeiten als mit der APS-C-Kamera.
Die Brennweite des Vollformats wird in diesem Fall vom Crop Faktor der APS-C-Kamera bestimmt. Dieser liegt bei Sony und Nikon bei 1.5 und bei Canon bei 1.6.
Das heißt, …
- fotografieren wir im Vollformat mit 50 mm, müssen wir bei APS-C mit 50/1.5 = 33.33 mm fotografieren.
- fotografieren wir mit APS-C mit 50 mm, müssen wir am Vollformat mit 50*1.5 = 75 mm fotografieren.
- usw.
Und jetzt rufst du dir bitte den Merksatz von oben ins Gedächtnis:
Lange Brennweiten haben eine geringere Schärfentiefe als kurze Brennweiten.
Hat es »KLICK« gemacht? Wir haben beim größeren Sensor die Brennweite verlängert, damit unsere Bildwinkel gleich sind. Ändern wir außer der Brennweite nichts (Blendenzahl bleibt bei f/1.8 und der Fokusabstand bei 0.2 m), dann verringert sich die Schärfentiefe!
Und genau daher kommt der Irrglaube, dass größere Sensoren eine geringere Schärfentiefe hätten. Dabei kommt die geringere Schärfentiefe von der längeren Brennweite und nicht vom Sensor.
Tatsächlich die Brennweite? Aber was heißt eigentlich f/1.8?
Eigentlich wollte ich diesen Beitrag ohne Formeln schreiben, aber das ist in der Fotografie kaum möglich: f/1.8 ist eine Formel!
Das f steht für focal length, also die in Millimeter angegebene Brennweite. Damit wird das Verhältnis des Durchmessers der Blendenöffnung angegeben.
Also die Größe des Lochs, durch welches das Licht auf den Sensor fällt.
Man spricht in diesem Fall von der Öffnungsweite oder der Größe der Eintrittspupille.
Beispiel:
Bei unserem 50 mm – Objektiv hat die Blende bei f/1.8 einen Durchmesser von
50 mm / 1.8 = 27.78 mm.
Beim 35 mm Objektiv sind es nur 19.44 mm ( = 35 mm / 1.8)
Daraus folgt wiederum, dass wir mit dem 50 mm die gleiche Schärfentiefe wie beim 35 mm Objektiv erhalten, wenn wir die Eintrittspupille auf 19.44 mm schließen. Das wäre ca. f/2.57 ( = 50 mm / 19.44 mm).
Oder umgekehrt bräuchten wir ein 35 mm Objektiv mit einer Blende von ca. f/1.26 (= 35 mm / 27.78 mm) für die gleiche Schärfentiefe wie beim 50 mm mit f/1.8.
Um es also ganz genau zu nehmen, ist die unterschiedliche Öffnungsweite bei verschiedenen Brennweite und gleicher f-Nummer für die unterschiedliche Schärfentiefe ausschlaggebend.
Aber damit rechnet kein Mensch, weil es viel zu kompliziert wäre.
Durch die f-Nummer können wir nämlich ganz einfach die Menge des eingefangenen Lichts bestimmen – und das ist schließlich viel wichtiger als die genaue Größe der Eintrittspupille!
Gleiche f-Nummer bedeutet gleiche Menge an Licht!
Deshalb bleiben wir einfach dabei: Die Schärfentiefe hängt von der Brennweite ab.
Beispiel:
Es ist also egal, ob du mit 50 mm und f/1.8 oder 35 mm f/1.8 oder sogar 100 mm f/1.8 fotografierst. Es fällt immer die gleiche Menge an Licht in die Kamera, obwohl die Öffnungsweite unterschiedlich ist.
Achtung: Die Menge des tatsächlich eingefangenen Lichts ist tatsächlich von der Sensorgröße abhängig. Aber das ist ein anderes Thema.
Crop Factor und Äquivalenz
Bis hierher hast du gelernt:
- die Schärfentiefe hängt von der Brennweite ab
- unterschiedliche Sensorgrößen liefern bei gleicher Brennweite unterschiedliche Bildwinkel
In der Praxis wird dir die Brennweite ziemlich egal sein. Wichtig ist der Bildwinkel, denn damit legst du den Ausschnitt fest, den du fotografieren willst.
Bei einer Sony RX100 spricht man zum Beispiel von einer äquivalenten Brennweite von 24 – 70 mm. Tatsächlich beträgt die Brennweite aber nur 8.8 – 25.7 mm. Der kleine Sensor gleicht das aber aus, weil er einen kleineren Bildausschnitt liefert.
Hier nochmal das Bild von oben:
Verstanden?
Weil der Bildwinkel viel wichtiger ist als die tatsächliche Brennweite, spricht man von der äquivalenten Brennweite. Damit ist die entsprechende Brennweite im 35 mm Kleinbildformat gemeint.
Errechnen kannst du das durch den Crop Factor (auf Deutsch: Formfaktor), dieser gibt die Diagonale eines Sensors im Verhältnis zur Größe des Kleinbildformats an.
Der Crop Factor gängiger Sensorgrößen
Sensorgröße | Crop Factor |
---|---|
Kleinbildformat | 1 |
APS-C (Sony/Nikon/Pentax) | 1.5 |
APS-C (Canon) | 1.6 |
MFT | 2 |
1" | 2.7 |
1/2.3" | 5.6 |
Eine ausführlichere Liste gibt es bei der Wikipedia.
Beispiele
Smartphone
Die derzeit beste Smartphone-Kamera steckt im Google Pixel. Der Sensor hat eine Größe von 1/2.3″, das Objektiv hat 4.67 mm Brennweite und eine Blende von f/2.0.
Gucken wir jetzt in der Tabelle oben, können wir mit dem Crop Factor schnell die äquivalente Brennweite errechnen: 4.67 * 5.6 = 26.142 mm.
Willst du also mit einer Vollformatkamera den gleichen Bildwinkel fotografieren wie mit dem Google Pixel, brauchst du 26 mm.
Willst du auch die gleiche Schärfentiefe, musst du die Blende anpassen. Auch diese kannst du mit dem Cropfactor umrechnen: 2 * 5.6 = 11.2.
Daraus folgt:
Brennweite und Schärfentiefe des Google Pixel entsprechen im Kleinbild 26 mm und f/11.
1 Zoll Sensor
Ich bin bekanntlich ein großer Fan von Kameras mit 1″-Sensor. Solche Sensoren stecken in allen Sony RX100, in der Canon GxX-Serie, in der Lumix LX15 usw.
Willst du mit solch einer Kamera ein Bild mit äquivalenter Normalbrennweite von 50 mm schießen, entspricht das bei einer 1-Zoll-Kamera der Brennweite 18.5 mm (= 50 mm / 2.7).
Die meisten Kameras haben bei dieser Brennweite eine maximale Offenblende von f/2.8.
Daraus folgt:
18.5 mm bei f/2.8 entsprechen am Vollformat 50 mm bei f/8 (genau wären f/7.5).
Zusammengefasst
Die Schärfentiefe hängt nicht von der Sensorgröße ab, sondern von der Öffnungsweite der Eintrittspupille bzw. dem Verhältnis von Brennweite und Blende (der f-Nummer).
Die Schärfentiefe eines Objektivs ist bei allen Sensorgrößen gleich.
Mit der Sensorgröße ändert sich jedoch der Bildwinkel. Dabei gilt: Je kleiner der Sensor, desto kleiner der Bildwinkel bzw. Bildausschnitt.
Um diese Änderung auszugleichen, musst du mit kleineren Sensoren mit kürzeren Brennweiten fotografieren, um den gleichen Bildwinkel wie bei größeren Sensoren zu erhalten.
Da kürzere Brennweite bei gleicher f-Nummer aber eine kleinere Eintrittspupille haben, vergrößert sich dadurch die Schärfentiefe.
Das kann durch eine größere Blende wieder ausgeglichen werden.
Und die Moral von der Geschicht …
… fürchte kleine Sensoren nicht!
Nein, ganz so einfach ist es nicht.
Weil der erzielte Bildwinkel viel wichtiger ist als die Brennweite, hat die Sensorgröße eben doch wieder was mit der Schärfentiefe zu tun.
Hier musst du entscheiden, was dir wichtiger ist.
Kurz gesagt: Willst du mit geringer Schärfentiefe arbeiten, brauchst du bei kleineren Sensoren größere Blenden … und solche Objektive haben nicht aller Hersteller im Programm.
Update:
10.02.2017 Die Sache mit der Öffnungsweite, Crop Factor & Äquivalenz, Beispiele, Zusammenfassung und Moral ergänzt.
Das ist ein kompliziertes Thema. Hoffentlich hast du es verstanden – falls nicht freue ich mich auf deinen Kommentar!
Danke an dieser Stelle auch an die Leute, die schon kommentiert haben und mich zum Update des Artikels inspirierten.
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